Endlich gab es wieder Hoffnung. Dieser Job in dem alten Theater war meine letzte Rettung. Zwar hatte ich nicht viel Ahnung von der Arbeit eines Hausmeisters, aber sie hatten mich trotzdem genommen. Nächste Woche sollte es los gehen, da dann auch wieder Aufführungen stattfanden. Diese Woche gab es noch ein paar Renovierungsarbeiten bevor die neue Saison begann.
Es war ein sehr kleines Theater und in der Stadt gab es auch noch ein größeres und moderneres Theater, trotzdem war dieses hier immer noch beliebt. Denn es konnte jeder hier auftreten und sich den einen Saal mieten, jede Schulklasse, jede Gruppe, jede Privatperson.
Am Montag war es dann so weit, mein erster Arbeitstag als Hausmeister. Zunächst schaute ich mich im ganzen Gebäude um, um meinen Arbeitsplatz besser kennen zu lernen. Ich ging durch den Empfang, den Saal, über und hinter die Bühne. Die Renovierer hatten, so weit ich sehen konnte, gute Arbeit geleistet. Alles war bereit für etwas Kultur.
An diesem Abend wurde ein Roman nachgespielt: Franz Kafka - Der Prozess. Ein Buch, das ich damals in der Schule schon nicht mochte. Deshalb hatte ich auch kein Verlangen danach, mir eine Theaterversion dieser totlangweiligen Geschichte anzutun.
Der Saal war bis auf einen letzten Platz gefüllt. Dieser letzte Platz war in der Mitte der ersten Reihe und aus irgendeinem Grund unbesetzt. Ich verließ den Raum, nachdem ich hinter der Bühne nochmal nach dem Rechten geschaut hatte, und wartete draußen auf das Ende der Vorführung.
Nach einer guten Stunde war alles vorbei und ich hörte den Applaus durch die alten Wände schallen. Laut diskutierend verließen die Leute den Saal und machten sich auf den Nachhauseweg. Als auch der letzte Schauspieler gegangen war, ging ich hinein um noch einmal alles zu kontrollieren.
Hinter der Bühne war alles aufgeräumt und auch im restlichen Saal hatte alles seine Ordnung. Nur ein Platz in der ersten Reihe war nicht hochgeklappt und störte den sonst perfekten Anblick des Raums. Ich ging also zu ihm hin und versuchte ihn hochzuklappen, doch er klemmte. Auch von einem größeren Kraftaufwand und wildem hin und her ruckeln ließ der Sitz sich nicht beeindrucken.
Etwas Öl könnte helfen, dachte ich mir, also holte ich ein kleines Kännchen, tropfte etwas davon auf die Scharniere und versuchte es noch einmal. Keine Chance. Die Sitze waren alt und sicherlich teuer, deshalb unterließ ich weitere Versuche mit roher Gewalt und überlegte mir eine andere Lösung des Problems.
Während ich mich fragte, warum während der Vorstellung niemand auf diesem Platz saß, fiel mir ein, dass es im Keller noch ein paar Ersatzstühle gab, die sich alle wunderbar hochklappen ließen. Ich musste also nur den störenden abschrauben und einen funktionierenden Sitz anschrauben und das Problem war gelöst.
Nachdem ich mir Werkzeug besorgt hatte, bemerkte ich das nächste Problem. Die Stühle waren von unten festgeschraubt, also konnte ich sie auch nur von dort lösen. Dazu musste ich in den kleinen Spalt unter den Sitzplätzen kriechen, der zur Bühne hin natürlich immer noch enger wurde, da die Sitze ja schräg angeordnet sind.
Nachdem ich mir vorsichtshalber eine Taschenlampe aus meinem Auto besorgt hatte, suchte ich den Eingang zu diesem Spalt. Meine Vermutung bestätigte sich, als ich eine Falltür am Ende des Raumes unter einem Stück Teppich fand. Der Teppich war mir bei meinem Rundgang aufgefallen, nicht so die Tür darunter. Ich öffnete sie und suchte nach einem Lichtschalter, leider vergebens. Also kletterte ich mit meiner Lampe hinunter und fand einen Teil des Gebäudes, der eine Renovierung viel eher nötig gehabt hätte.
Alte, morsche Holzbalken bildeten das Gerüst auf dem sich knapp 300 Sitzplätze befanden. Das wirkte nicht sehr sicher und ein Funke hätte gereicht, um alles in Brand zu stecken. Doch darum wollte ich mich später kümmern, zunächst wollte ich diesen Stuhl loswerden. Im Schein meiner Taschenlampe begann ich auf allen Vieren nach vorne zu kriechen, musste mich aber für die letzten Reihen auf den Bauch legen um mir nicht den Kopf an den Nägeln und Schrauben anzuhauen, die überall aus den Brettern schauten.
Mir war sehr mulmig, denn Dunkelheit war noch nie mein Ding gewesen. Ich hatte zwar eine Taschenlampe, aber die erhellte nur einen kleinen Bereich meines Sichtfelds. Leider fiel auch kaum Licht durch die Balken von oben hier runter. Deshalb wollte ich auch so schnell wie möglich fertig werden, damit ich wieder heraus kriechen und meinen ersten Arbeitstag beenden konnte.
In der ersten Reihe angekommen musste ich nicht abzählen der wievielte Stuhl es war, denn man erkannte ihn sogar von unten. Die Schrauben waren total abgenutzt, als hätte jemand mit aller Kraft versucht sie aufzudrehen und war dabei aber immer wieder abgerutscht. Sie waren zu kaputt um sie noch normal aufzudrehen, es gab also nichts mehr zu tun für mich dort unten.
Ich wollte mich gerade auf den Rückweg machen, als ich über mir ein Geräusch hörte. Es klang so, als würde sich jemand aus einem der Sitze erheben, denn ich nahm das Knarren und Quietschen eines alten Stuhles war. Ich lag noch auf dem Rücken und das Geräusch kam direkt von oben, von dem einen Platz in der ersten Reihe, der sich nicht hochklappen ließ.
Doch damit war es noch nicht vorbei. Erstarrt vor Schreck und mit Schweißtropfen im Gesicht hörte ich nun, wie sich Schritte von dem Stuhl entfernten und zum äußeren Gang gingen. Es waren langsame Schritte, wer auch immer da war hatte es nicht eilig. Als ich merkte, dass die Schritte sich nach hinten, also zur Falltür hin, entfernten, geriet ich in Panik, da ich befürchtete, diese Person dort oben wolle mich hier unten einschließen.
Ich machte mich also sofort auf den Rückweg, vorbei an morschen Brettern, verrosteten Schrauben und spitzen Nägeln. Fast konnte ich schon wieder geduckt gehen, als die Falltür mit einem riesigen Knall zugeschlagen wurde. Der Schreck fuhr mir in die Knochen. Ich atmete laut, hörte aber dennoch wieder die Schritte wie sie sich wieder der Bühne näherten. Wieder waren sie sehr langsam, als würde dieser Jemand versuchen zu schleichen, was bei den alten Brettern aber unmöglich war. Ich dachte mir, dass es vielleicht ein paar Jugendliche waren, die sich einen Spaß erlaubt hatten. Das wollte ich nicht auf mir sitzen lassen, deshalb eilte ich zur Tür und versuchte sie aufzustemmen.
Doch sie klemmte und so gelang es mir erst nach ein paar Minuten wieder in den Saal zu gelangen und wenigstens etwas frischere Luft zu atmen. Es war niemand zu sehen, deshalb suchte ich alle Räume nach den Verantwortlichen ab. Doch niemand war zu finden und die Eingangstür war immer noch abgeschlossen. Einen anderen Weg hinein als durch diese Tür gab es nicht. Ich ging zurück zu dem Platz in der ersten Reihe.
Er stand dort immer noch unverändert, er sah immer noch aus wie all die anderen Stühle, nur war er eben heruntergeklappt und ich war immer noch nicht fähig dies zu ändern. Ich entschied, mich morgen um den Stuhl zu kümmern, da es langsam schon spät wurde. Nachdem das Licht hinter der Bühne gelöscht war, ging ich zum Saalausgang, machte auch hier das Licht aus, schloss die Türen zu und lief weg. Plötzlich hörte ich ein Lachen aus dem Saal.
Sofort drehte ich mich um und schloss die Türen wieder auf. Das Lachen drang weiter an mein Ohr, doch es verstummte als ich das Licht anschaltete. Der Eingang war ungefähr in der Mitte des Saales, von der Bühne aus gesehen an der linken Wand. Da das Lachen von rechts kam, hatte ich natürlichen den Platz in der ersten Reihe als Hauptverdächtigen ausgemacht. Ich wurde wütend und rannte zu ihm hin. Noch einmal versuchte ich ihn hochzuklappen, wieder mit dem gleichen Ergebnis. Als letzte Möglichkeit wollte ich ihn nochmal von unten hochdrücken, dazu musste ich mich unter ihn legen. Aber als ich dann unter ihm lag, entdeckte ich Etwas.
„Du wirst wiederkommen“, war in das Holz des Stuhls geritzt. Es war schon teilweise verwittert, der Satz stand dort also schon länger. Es waren nur ein paar Worte, aber sie wirkten sehr bedrohlich auf mich, fast wie eine Drohung. Das war mein Zeichen zu gehen. Mir war die Angst ins Gesicht geschrieben, als ich wieder alles abschloss und nach Hause fuhr. Morgen wollte ich kündigen, ich wollte nie wieder zurück in dieses Theater gehen.
Am nächsten Morgen rief ich meine Vorgesetzte an:
„Es tut mir leid, aber ich glaube, ich bin nicht der Richtige für diesen Job.“, sagte ich ihr.
„Können Sie mir vielleicht sagen warum?“, fragte sie.
„Das ist leider etwas kompliziert, ich möchte einfach nicht mehr in dieses Theater gehen müssen. Ich hoffe, Sie können das verstehen.“, antwortete ich.
„Ich könnte es vielleicht verstehen, wenn Sie nicht schon der fünfte Hausmeister in zwei Monaten wären der mir das jetzt erzählt. Keiner konnte mir eine richtige Erklärung geben, aber alle haben nach sehr kurzer Zeit wieder gekündigt. Sie waren der Schnellste bisher.“
Mir stockte der Atem. Ich habe versucht irgendetwas zu sagen, aber ich konnte nicht.
„Können sie mir wirklich nicht sagen was los ist? Es würde uns nämlich sehr helfen.“ sagte sie noch.
„B-Bei was?“, stotterte ich.
„Der erste Hausmeister, der plötzlich und mit der selben Erklärung gekündigt hat, hat sich mitlerweile das Leben genommen. Der Zweite hat sich in eine Nervenheilanstalt einweisen lassen. Die anderen Drei kommen jeden Abend zu jeder Aufführung und setzen sich in die letzte Reihe. Sie kommen immer als Letzte, sind immer ganz ruhig und gehen dann immer als Erste. Wenn Sie...“ waren ihre letzten Worte bevor ich ohne mich zu verabschieden auflegte.
Seitdem finde ich mich, jeden Abend in der letzten Reihe des alten Theaters wieder, mit den Augen immer auf den Platz in der ersten Reihe gerichtet.
© Chads
Wenn dir diese Geschichte gefällt dann stimm bitte für sie ab bei "Lieblingsgeschichte" =)