Schaukelnde Erinnerung 2
Es war genau eine Woche später als ich mitten in der Nacht aufwachte. Zwar hatte ich keine Schuldgefühle oder Albträume wegen Carolin, aber dennoch fiel es mir schwer einzuschlafen, da ich stehts an sie dachte sobald es Abend wurde. Jeden Abend blickte ich hinauf, aber nie war jemand zu sehen. Irgendwie vermisste ich sie, obwohl ich sie gar nie kannte.
Ich drehte mich um und blickte zum Fenster. Es war mir nicht möglich es zu beschreiben, aber etwas zog mich zu ihm hin. Von draußen schien der Mond herein und erhellte mein Zimmer trotz der späten Stunde. Ich stand also auf, blickte hinauf zu dem großen Baum und sah sie.
Seit einer Woche bin ich nicht mehr bei der Schaukel gewesen. Der Zettel mit ihren einzigen Worten an mich lag neben meinem Bett. Wie oft ich ihn wohl mitlerweile betrachtet hatte, ohne ihn auch nur ein weiteres Mal durchzulesen. Die Schaukel war in dieser Nacht nicht allein.
Die Nacht war außergewöhnlich klar. Wie so oft zuvor konnte ich erkennen wer auf der Schaukel saß und dennoch schokierte es mich dieses Mal. Die Person war Carolin, und sie schaukelte durch die Nacht als wäre nie etwas passiert. Wie war das möglich?
Ich machte mich sofort auf den Weg und stellte sicher, dass ich ihren Zettel einpackte. Als ich mich dem hügelte näherte saß sie ganz ruhig auf den Holzbrettern und blickte in die Ferne. Währendessen fasste ich den Entschluss, sie wegen ihrer Worte an mich zu fragen.
Kurz darauf kam ich oben an. Es war Carolin, ohne Zweifel. Sie trug nicht das Kleid von ihrer Beerdigung letzten Samstag, sondern die Jeans und T-Shirt von dem Tag, als sie das letzte Mal in der Schule war. Vorsichtig zog ich den Zettel aus meiner Hosentasche.
„C-Carolin? W-was-?“
„Warum bist du heute hergekommen?“
„I-ich weiß nicht. Hör mir bitte zu, es...es tut mir so Leid, aber-“
„Es ist nicht deine Schuld.“
Sie hatte sich bis dahin nicht herumgedreht. Wir haben nie miteinander geredet, aber sie hatte mich wohl an meiner Stimme erkannt. Ich hielt immer noch das Stück Papier in meiner Hand und wusste nicht mehr, was ich eigentlich sagen wollte. Da drehte sie sich mit der Schaukel zusammen um und ich sah sie, wie nur wenige Tage zuvor auch schon, nur waren ihre Augen nicht geschlossen, sondern hatte dieses leeren, leblosen Blick.
„Hast du dich wirklich, ich meine, stimmt es, dass du dich-“
„Ja, ich bin tot, und daran wird sich auch nichts mehr ändern.“
Sie blickte schüchtern auf den Boden. Wie aus dem Nichts zogen jetzt ein paar Wolken auf und ein leichter Wind war zu spüren.
„Wieso bist du hier? Ich versteh das nicht.“
„Manche werden zurückgeschickt, weil sie noch etwas zu erledigen haben.“
„Und was musst du noch tun?“
Alles wirkte surreal. Carolin stand auf und hebte langsam ihren Blick. Plötzlich waren überall Wolken und es wurde so finster, dass ich ihr Gesicht fast nicht mehr erkannte. Wortlos legte sie ihre Arme um mich und dann küssten wir uns. Und während wir uns küssten schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Plötzlich war alles unwichtig und ich spürte nur noch ihre zarten Lippen auf meinen. Doch als wir aufhörten und ich die Augen wieder öffnete, sah ich ein Lächeln.
Es musste jeden Moment anfangen zu regnen. Doch Carolin strahlte plötzlich vor Leben. Ihre Augen, ihr Lächeln, ihr ganzer Körper strahlte und erhellte uns und den Hügel mit dem Baum und der Schaukel. Doch gleichzeitig begann sie zu verschwinden. Zuerst ganz langsam, aber dann immer schneller löste sie sich auf und hörte trotzdem nie auf, mich in ihren Armen zu halten.
Und dann, so plötzlich wie sie da auftauchte, war sie auch wieder gegangen. Ich spürte immer noch Carolins Gegenwart. Doch dann fiel mein Blick auf die Schaukel. Sie schwang etwas hin und her vom Wind. Auf ihr lag wieder ein gefalteter Zettel. Ich nahm ihn auf und faltete ihn auseinander. Noch während des lesens fiel eine Träne von meinem Gesicht mitten auf das Stück Papier. „Danke...“ stand darauf und dann begann es zu regnen...
© Chads
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