Lisa
Kapitel 3: Was plant Lisa?
„Und wer soll das sein?"
„Hab' Geduld, du wirst es dann schon sehen."
„Warte, heißt das dann, dass du nicht die Einzige bist, die das kann?"
„Das habe ich doch nie behauptet, oder?"
„Nicht direkt, nein. Aber ich hab auch nie gefragt, fällt mir gerade ein."
„Eben."
Bis wir aussteigen reden wir fast gar nichts mehr. Lisa versucht zwanghaft, mir irgendwelche Fragen zu stellen, aber ich merke, dass sie darin einfach keine Erfahrung hat. Ich selbst bin zu müde, um großartig nachzudenken.
„Und jetzt, Lisa?", frage ich sie, als wir am Busbahnhof ankommen.
„Da! Den Bus müssen wir nehmen.", ruft sie und deutet auf einen Bus der Linie acht.
„Fährt der nicht zum Krankenhaus?"
„Auch. Aber wir müssen nur in die Nähe."
Wir steigen ein und fahren wieder los. Ich habe aufgegeben zu fragen, wo wir uns hinbegeben. Sie scheint einen Plan zu haben und ich versuche ihr einfach folgen. Aber was hat es mit diesen Verheimlichungen zu tun? Warum kann sie mir nicht direkt sagen, was wir machen? Hat sie Angst, ich würde ihr widersprechen?
17:30 Uhr
Als ich aus dem Bus aussteige, bleibe ich erstmal verdutzt stehen, als ich merke, wo wir tatsächlich sind.
„Die psychiatrische Anstalt? Ist das dein Ernst, Lisa?"
„Ja, und jetzt komm. Es ist schon spät."
„Was wollen w-... ach vergiss es."
Es hat ja eh keinen Zweck. Also folge ich ihr hinein. Drinnen winkt sie nur kurz der Frau an der Theke zu und schon öffnet diese die Tür zu den Zimmern per Knopfdruck.
„Du kennst diese Frau? Bist du etwa öfter hier?"
„Wie gesagt, ich besuche ihn hin und wieder.", antwortet sie ganz aufgeregt.
Lisa scheint sich zu freuen, hier zu sein. Ich hingegen habe eine komisches Gefühl im Magen während ich durch die Gänge gehen. Zu beiden Seiten verschlossene Türen mit Namensschildern und oft schreienden oder redenden Personen dahinter. Viele Wachleute kommen an uns vorbei und auch davon scheint Lisa einige zu kennen. Sie fühlt sich hier so wohl wie nirgendwo zuvor.
Nach knapp fünf Minuten erreichen wir einen Gang mit einer Sackgasse. Das muss also der Richtige sein. Doch leider bestätigt sich mein Verdacht, dass unser Ziel ganz am Ende liegt, in dem Zimmer mit der verstärkten Tür und den zwei extra Wachleuten davor.
„Hey, lasst ihr uns rein?", fragt sie die beiden als wir dort ankommen.
„Und wer ist das?", sagt der eine und deutet auf mich.
„Das ist ein Freund, der muss mitkommen. Keine Angst, der ist noch ungefährlicher als ich.", antwortet Lisa und zwinkert mir zu.
„Oh, ähm, ja! I-ich weiß nicht mal, warum ich genau hier bin.", erwidere ich.
„Na gut.", sagt der Wachmann und schließt die Tür auf.
„Überlass mir das Reden, Jack.", flüstert mir Lisa zu, als wir hinein gehen.
Es sieht aus wie ein... Hotelzimmer. Ein sehr billiges. Eher noch ein Motel. Hässlicher Teppich, triste Tapete, ein klappriges Bett, ein Fenster mit Gittern und ein Fernseher hinter Glas. In einer Ecke entdecke ich dann noch eine kleine Toilette, einfach so im Raum.
„Hallo Schatz! Ich dachte du würdest erst Morgen kommen, das ist ja eine schöne Überraschung!", ruft der Mann von seinem Bett aus plötzlich und springt auf.
Lisa rennt sofort zu ihm hin und umarmt ihn fest.
„Ist eine Art Notfall.", sagt sie und dreht sich zu mir um.
„Oh, wen haben wir denn da? Ist das der Notfall?", fragt der Mann.
„Nein, nein.", muss Lisa lachen, „Jack, darf ich vorstellen, das ist mein Vater. Vater, das ist mein Freund Jack."
„Oh, guten Tag. Ähm, schön sie kennenzulernen.", antworte ich überrascht.
„Dein Freund, sagst du?"
„Ein Freund. Ein Kumpel sozusagen."
„Das will auch hoffen.", entgegnet er.
Die beiden beginnen sich auszutauschen. Lisa erzählt ihm von ihrer Mutter und dem Rest der Familie und er berichtet, was er hier drin erlebt hat.
„Entschuldigung,", beginne ich, als sie gerade eine Pause machen, „das ist jetzt ein wenig direkt und wenn ich es mir recht überlege, geht mich das gar nichts an."
„Was gibts?", fragt mich ihr Vater und dreht sich zu mir rüber.
„Nun ja, sie, ähm, Sie wirken sehr 'normal' und daher habe ich mich gefragt, warum Sie eigentlich hier drin eingesperrt sind."
Er muss laut lachen. Lisa schaut verwirrt, da sie wohl weder mit meiner Frage, noch mit seiner Reaktion gerechnet hat.
„Weißt du,", fängt er an, als er sich wieder beruhigt hat, „'normal' ist vor allem hier ein sehr dehnbarer Begriff."
„S-sie müssen es mir nicht erzählen, wenn es zu-"
„Ach was, da ist echt nichts dabei."
„In Ordnung."
„Ich habe lediglich einen Juwelier um etwas Gewinn erleichtert."
„Und warum sind sie dann hier? Ich meine, das ist doch dann eher ein Fall für das normale Gefängnis, oder nicht?“
Wieder muss er lachen. Entweder war meine Frage zu dumm oder die Antwort zu offensichtlich. Vielleicht auch beides.
„Lisa, wie viel hast du ihm erzählt?“
„Ähm, über mich weiß er mehr oder weniger Bescheid, von dir noch nichts.“, antwortet sie ihrem Vater.
„Er ist aber nicht wie...?“
„Nein. Nein auf keinen Fall. Glaub mir.“
„Na gut, Jack, da meine Tochter dir vertraut, werde ich das wohl auch können. Wie du dir vielleicht denken kannst, hat Lisa diese Gabe von mir geerbt. Ob auch sie von einem meiner Eltern geerbt habe weiß ich leider nicht, da ich beide nie kennenlernte. Aber als ich sie bei mir entdeckte, nutzte ich sie, wie es jeder andere in dem Alter auch getan hätte, nur um Blödsinn anzustellen. Doch irgendwann traf ich Lisas Mutter und bald darauf kam auch schon Lisa. Leider wurde dann das Geld knapp und so musste ich einen Weg finden, um für beide zu sorgen. Und da kam unsere Gabe ins Spiel. Ich drang in die Träume der Leute ein, fragte sie über Ersatzschlüssel für ihr Haus oder nach Lücken in ihrem Sicherheitssystem aus und nutzte diese dann aus. Leider kam mir beim letzten Mal dann ein neuer Wachmann in die Quere und deshalb wurde ich erwischt.“
„Aber dann bleibt meine Frage noch immer unbeantwortet, warum sind sie dann hier?“
„Vor Gericht wollten sie wissen, wie ich überhaupt bis zu dem Wachmann vordringen konnte und ich erzählte ihnen die Wahrheit. Sie glaubten mir nicht, Ärzte meinten ich sei verrückt und so kam ich hier her."
„Warum sagen sie denen nicht, was sie hören wollen?“
„Den Erfolg gönne ich ihnen nicht.“
„Verstehe.“
„Okay, genug Familiengeschichte, wir sind hier wegen einem Notfall.“, wirft Lisa plötzlich ein.
„Sie hat Recht, ein anderes Mal vielleicht.“, erwidere ich.
„Also, letzte Woche, kurz nachdem wir uns, ich nenne es mal ‚kennengelernt‘, haben, wurde an unserer Schule jemand ermordet. Wie sich kurz darauf rausstellte, war das Opfer Benny, ein sehr guter Freund von Jack.“, beginnt Lisa zu erzählen.
„Das tut mir Leid, Jack.“
„Danke, aber im Moment verdränge ich das noch ziemlich erfolgreich.“
„Und das ist auch gut so,“ , fängt Lisa wieder an, „denn der Mörder ist immer noch da draußen.“
„Wie finden wir ihn?“, fragt ihr Vater dazwischen.
„Das, ähm, haben wir schon.“, antwortet sie ihm.
„Warum seid ihr dann noch hier und noch nicht bei der Polizei?“
„Wir haben keinerlei Beweise, nur Andy hat es uns in seinem Traum gezeigt."
„Ja, das hat vor Gericht meist nicht so viel Halt. Aber wer ist es denn? Kennt ihr ihn?“, fragt ihr Vater und blickt zu Lisa.
Doch diese antwortet nicht. Sie tauschen nur Blicke aus. Lisa sieht aus, als würde sie sich entschuldigen wollen, während er noch nicht so recht versteht.
„Ist es, du weißt schon wer?“, fragt ihr Vater dann plötzlich.
Lisa nickt stumm.
„Kann man mir jetzt bitte auch sagen, wer gemeint ist?“, frage ich ungeduldig in die Runde.
„Du hast es ihm nicht gesagt?“
„Er kennt ihn nicht und eigentlich habe ich gehofft, dass das so bleibt.“
„Und warum hat er das getan?“
„Ich hab da so eine Vermutung…“
„Ihr verratet es mir also nicht?“, frage ich noch mal, deutlich genervter.
„Nein, wir zeigen es dir.“, antwortet Lisa.
„Wie soll das funktionieren?“, will ihr Vater wissen.
„Als Jack letzte Nacht bei mir übernachtet hat, haben-„
„Er hat was?“, unterbricht er sie.
„Keine Angst, er saß nur neben meinem Bett und hat darauf gewartet, dass ich in den Traum von Andy eindringe.“
„Das will auch hoffen. Aber ist das nicht dezent gruselig?“
„Ja Leute, ich habe es kapiert, das ist nicht normal. Es kommt auch nie wieder vor.“, erwidere ich.
„Wie dem auch sei, durch einen großen Zufall haben wir etwas herausgefunden, dass selbst du und ich noch nicht wussten.“
„Aha und das wäre?“
„Wenn er mich berührt, konnte er mit in den Traum, in den ich eingedrungen bin.“
„Er hat dich berührt?“
„Ja, er ist eingeschlafen und dann ist seine Hand an meine gerutscht. Zumindest hat er das so erzählt.“
„Genau so war es auch!“, werfe ich ein und befürchte, dass es hier langsam mehr um mich als um den Plan geht.
„Dann will ich das mal glauben.“, antwortet ihr Vater, „Und jetzt wollt ihr mit mir zusammen in den Traum?“
„Ja, das war mein Plan. Alleine schaffe ich es nicht, ich brauche dich dazu.“
„Aber muss er dazu nicht auch schlafen? Er wird ja wohl kaum schon jetzt um kurz nach sechs Uhr im Bett sein, oder?“, werfe ich ein.
„Natürlich müssen wir warten, oder hast du heute noch was vor?“, fragt mich Lisa.
„Das nicht, aber können wir denn so lange hier drin bleiben? Werfen die uns nicht raus?“
„Nein, nein, so lang ihr bei mir bleibt passt das schon.“, antwortet ihr Vater lachend.
„Wieso das?“, hake ich nach.
„Ich habe allen Mitarbeitern hier schon einen oder mehrere große Gefallen getan, nur durch Träume. Keiner glaubt, dass ich wirklich in ihrem Traum war, aber trotzdem sind sie dankbar für was ich gemacht habe. Außerdem habe ich auch die Personen, die für die Regelungen hier drin zuständig, beeinflussen können.“, erzählt er.
„Das heißt, wir können die ganze Nacht hier bleiben und gehen erst, wenn wir die Antworten haben, die wir suchen.“, ergänzt Lisa.
„Das klingt ja alles super, aber in welchen Traum wollen wir eindringen? In Andy’s waren wir doch schon.“, frage ich nach.
„Ich kann mit genügend Anstrengung in jeden Traum eindringen, ich muss die Person nur persönlich kennen oder ein Foto von ihr haben. Aber ich brauche kein Objekt mehr, wie meine Tochter. Irgendwann lernt sie das auch.“, antwortet er und lächelt sie an.
„Also gehen wir direkt in ‚seinen‘ Traum?“
„Genau.“
„Wie?“
„Ich kenne ihn auch.“
22:49 Uhr
Lisa und ihr Vater schlafen schon. Sie liegen nebeneinander im Bett und ich sitze daneben in einem ungemütlichen Stuhl. Ich halte wieder Lisas Hand und sie die ihres Vaters. Hoffentlich klappt es nicht nur zwischen mir und Lisa, also das mit dem Träume-Teilen. Eigentlich hätte ich schon gern im Bett gelegen und ihr Vater vielleicht aus Höflichkeit im Stuhl, aber so wie er schon die ganze Zeit drauf war, würde er das mit mir und Lisa nicht noch weiter unterstützen. Außerdem muss er ja als erstes Schlafen, sonst bringt das alles nichts.
Lisa hat mich vorhin noch etwas durch die Anstalt geführt, da wir ja noch Zeit hatten. Leider hat sie mir den Namen des Mörders meines besten Freundes immer noch nicht verraten. Ob es dafür wirklich einen Grund gibt? Selbst wenn ich ihn doch kennen sollte, würde das einen Unterschied machen? Trotzdem bin ich froh, dass ich wenigstens ein bisschen mehr über sie erfahren konnte. Sie meinte zum Beispiel, dass ihr Vater viel netter zu mir war als sie es erwartet hätte. Ob ich wohl der erste Junge bin, den sie ihrem Vater vorgestellt hat? Ich hätte sie gerne mehr über ihre Vergangenheit gefragt, aber sie meinte nur, dass es da nicht viel zu erzählen gab. Lisa bleibt ein Mysterium. Mehrmals sind wir den Plan für heute Nacht durchgegangen. Wir fragen ihn nach seinem Motiv, den Tathergang, die Utensilien und alles andere, wodurch wir dann später einen Beweis finden könnten, um es ihm nachzuweisen.
23:13 Uhr
„Und da ist auch endlich der Letzte eingetroffen.“, ruft eine Stimme, die ich nicht kenne.
Langsam versuche ich meine Augen zu öffnen, doch kneife sie sofort wieder zu, als mich ein helles Licht blendet. Als ich versuche mich zu bewegen, muss ich zu meinem Entsetzen feststellen, dass ich an dem Stuhl, auf dem ich sitze, angebunden bin.
„Wo bin ich?“, rufe ich verzweifelt.
Ein lautes Lachen dringt an meine Ohren.
„Herzlich Willkommen in meinem Traum, Jack. Wir haben alle auf dich gewartet.“, antwortet die Stimme.
„Wer ist ‚wir‘?“, frage ich nach.
„Na, die kleine Lisa, ihr hochbegabter Vater und meine Wenigkeit.“
„Und wer bist du?“
„Jack, das ist er!“, ruft mir plötzlich eine andere Stimme von der Seite zu, die ich sofort als Lisa identifiziere.
„Ich bin nicht ‚er‘, bitte nenn' mich nicht so, Lisa. Du kennst meinen Namen.“
„Lisa, wie heißt er?“
„Dave. Eigentlich David, aber er wollte nicht so gennant werden.“
„Okay Dave, dann hör mal zu, Dave, ich weiß nicht was dein Problem ist, aber-„
„Nein du hörst zu, Jack. Während ihr Turteltauben euch nur aufs Schlafen konzentriert habt, habe ich mir deinen anderen Freund geschnappt, Andy oder so.“, unterbricht er mich.
„Was? Nein! Du lügst!“
„Warum sollte ich? Ich war immer ehrlich zu dir, Jack. Nicht so wie andere der hier Anwesenden.“
„Was meinst du?“
„Darüber könnt ihr nachher diskutieren. Also, wenn ihr, oder du, ich weiß ja nicht wie viel Lisa an ihm liegt, Andy wiedersehen wollt, dann kommt ihr beiden morgen um Mitternacht auf den Friedhof, genauer gesagt, an das Grab von Benny. Dort wird der Austausch stattfinden. Andy gegen Lisa. Verstanden?“
„Damit kommst du nicht durch!“, brülle ich in seine Richtung, da ich immer noch nicht die Augen öffnen kann.
„Das bin ich schon. Und wenn ich merke, dass ihr nicht alleine kommt, dann könnt ihr gleich ein Grab für Andy graben, wenn ihr schon da seid.“
„Du mieser, kleiner…!“
„Und tschüss.“
Donnerstag, 2:14 Uhr
Ich wache auf und finde mich im Zimmer von Lisas Vater wieder. Ich komme noch immer nicht ganz auf diese Träume klar.
„Lisa? Lisa, bist du wach?“, flüstere ich in ihre Richtung.
Langsam drehe ich meinen Kopf zum Bett und erkenne im Mondschein, wie sie mit beiden Händen vor dem Gesicht daliegt.
„Lisa, ist alles in Ordnung?“, frage ich besorgt nach.
„Ich glaube, das lief nicht ganz so wie geplant.“, sagt ihr Vater dann plötzlich.
„Nein, nicht wirklich.“, ergänze ich, „Kann mir denn jemand erklären, was gerade passiert ist?“
„Er wusste Bescheid.“, antwortet er.
„Und was heißt das?“, hake ich nach.
„Das heißt, er hat uns nicht nur erwartet, nein, er hat sogar gelernt, seine Träume zu kontrollieren.“, sagt Lisa dann plötzlich.
„Wieso wusste er das? Woher kennt ihr euch?“, will ich weiter wissen.
„Lass uns das auf dem Nachhauseweg besprechen, Jack.“
„Lisa, was hast du vor?“, will ihr Vater auf einmal wissen.
„Sorry, aber ich muss das tun.“
„Mach nichts Dummes, Lisa.“
„Ich muss, es ist meine Schuld.“
„Was redest du da? Ihr müsst einfach nur zu Polizei, die ist für so etwas ausgebildet!“
„Ich kann das nicht riskieren.“, sagt sie und wendet sich zu mir, „Komm Jack, wir gehen.“
„Öhm, in Ordnung.“, antworte ich verdutzt.
„Lisa Rose, ich lasse nicht zu, dass du dich in solche Gefahr begibst.“
„Du hast mir beigebracht Verantwortung zu übernehmen und auf mich selbst aufzupassen, also lass mich dir beweisen, dass ich das auch kann.“, sind ihre letzten Worte, als sie mich zur Tür hinaus zieht.
2:38 Uhr
Wir sitzen am Bahnhof und warten auf den Nachtbus. Weder sie noch ich haben ein Wort gesagt, seitdem wir die Klinik verlassen haben. Noch immer bin ich leicht traumatisiert von dem, was vorhin in dem Traum passiert ist. Lisa starrt regungslos auf den Boden vor sich. Sie hat wieder ihre Kapuze aufgezogen. Obwohl wir beide sichtlich frieren, traut sich keiner zu fragen, ob wir nicht vielleicht in den Bahnhof rein gehen sollten. Ich habe zwischendurch mehrmals versucht, Andy auf seinem Handy zu erreichen, aber er reagiert darauf genauso wenig wie auf meine SMS. Es könnte an der Uhrzeit liegen, aber es wäre auch nicht ungewöhnlich, wenn er zu dieser späten Stunde noch vor dem PC sitzen würde. Endlich kommt der Bus.
„Lisa, du meintest wir besprechen das unterwegs.“, traue ich mich dann endlich zu fragen, als wir im Bus sitzen.
„Es gibt nichts mehr zu besprechen. Wir gehen da heute Abend hin und beenden das.“, antwortet sie kühl.
„Und wie? Wie willst du es schaffen, dass ihr beide da rauskommt? Der Typ meint es Ernst.“, hake ich nach.
„Natürlich meint er es Ernst. Das hat er schon immer. Ich hätte es wissen müssen.“
„Was willst du dann machen?“
„Vertrau mir einfach, Jack. Ich habe einen Plan.“
„Dann erzähl ihn mir, damit ich dir helfen kann!“, fordere ich.
„Nein, Jack. Wenn du ihn kennst, würdest du ihn gefährden."
„Was soll das schon wieder heißen?“
„Ich kenne ihn, ich weiß was ich tue.“
„Woher kennst du ihn?“
„Wenn ich dir das erzähle, vertraust du mir dann?“, fragt Lisa.
Ich nicke ihr zustimmend zu.
„Du warst nicht der Erste, Jack. Dave hat es damals auch gemerkt, dass ich in seinem Traum war und dann herausgefunden, wer ich bin. Er hat nicht locker gelassen, mich immer wieder angesprochen, war dabei immer nett und charmant, aber nie wirklich aufdringlich. Zumindest habe ich das nicht so empfunden. Aber je mehr ich mit ihm gesprochen habe, desto krasser wurde es. Er wollte wissen, wieso ich in seine Träume kann, wie, ob das jeder kann, wie sich das anfühlt. Er war völlig besessen von mir. Doch er ließ nicht locker und irgendwann fühlte ich mich verfolgt. Ich bin ihm dann komplett aus dem Weg gegangen und dann habe ich ihn auch in der Schule nicht mehr gesehen, vermutlich ist er weggezogen. Eigentlich dachte ich, damit wäre das vorbei. Dann kamst du und es begann wieder von vorne.“
„Deshalb warst du so abweisend?“
„Ja. Für die Anderen war ich ja mehr oder weniger unsichtbar.“
„Aber wieso hast du dich mir dann doch geöffnet?“, frage ich nach.
Doch sie antwortet nicht und schweigt.
2:54 Uhr
„Wir treffen uns um elf heute Abend an der Schule, in Ordnung?“, sagt sie, als ich aussteigen muss.
„Geht klar, soll ich irgendwas mitbringen?“
„Nein, versuche dich zu beruhigen und zu schlafen. Es wird alles gut.“
Ja, ist klar. Als ob ich es jetzt schaffe, in Ruhe zu pennen. Die ganze Sache wird immer schlimmer und komplizierter. Wo bin ich da nur rein geraten? Der Weg von der Bushaltestelle nach Hause ist kalt und lang. Für den Friedhof heute Nacht muss ich unbedingt eine dickere Jacke anziehen. Ich möchte Lisa so gerne vertrauen, aber eigentlich kenne ich sie noch kaum und sie mich auch nicht. Aber trotzdem fühlt es sich an, als wären wir schon so eng miteinander verbunden und hätten schon so viel erlebt. Was ist ihr Plan? Will sie sich wirklich für Andy eintauschen? Aber dann sind wir doch kein Stück weiter. Was plant Lisa?
Meine Eltern schlafen schon, als ich daheim ankomme. Ist vermutlich auch besser so, sonst müsste ich ihnen erklären wo ich war. Ich schleiche in mein Zimmer und lege mich sofort in mein Bett.
23:09 Uhr
„Bist du bereit, Jack?“, fragt mich Lisa, als ich gerade den Bus verlasse.
„Ich denke schon?“, antworte ich.
„Gut, dann los.“
Ich bin erst eingeschlafen, nachdem es draußen schon wieder langsam hell wurde. Aber immerhin wurde ich erst zum Mittagessen geweckt, sodass ich jetzt einigermaßen fit bin. Lisa hingegen sieht aus, als hätte sie den ganzen Tag geschlafen und Energie getankt. Voller Tatendrang geht sie voraus in Richtung des Friedhofs. So selbstsicher habe ich sie noch nie erlebt.
„Lisa, dir ist bewusst, dass wir uns mit einem vermeintlichen Mörder und Entführer treffen werden?“
„Ja.“
„Wie kannst du dann so ruhig bleiben? Und so motiviert?“
„Weil uns nichts passieren wird.“
„Wieso bist du dir da so sicher?“
„Du stellst gerne Fragen, ist dir das schon mal aufgefallen?“
„Du erzählst ja nie was von dir aus.“
„Ich habe noch nie jemanden so viel erzählt wie dir, Jack. Aber du verstehst das nicht.“
„Dann erkläre es mir bitte.“
„Ich, ich bin das einfach nicht gewohnt.“
„Zu erzählen?“
„Ja. Ich hatte nie jemanden, dem…“
„Ich verstehe. Tut mir Leid.“
„Passt schon.
Irgendwo zwischen der Schule und dem Parkplatz fällt mir dann auf, wie sehr dieses Mädchen mein Leben verändert hat. Seit ich sie kenne ist nichts mehr wie es war. Nicht alles hat sich verbessert, aber doch vieles. So oft hat sich der Gedanke in meinem Hinterkopf versteckt, aber erst jetzt merke ich wirklich, wie besonders Lisa eigentlich wirklich ist. Plötzlich greift ihr Vertrauen auch auf mich über. Plötzlich glaube ich, dass sie es schaffen kann, was auch immer sie vor hat. Ich vertraue ihr mehr oder weniger blind.
23:46 Uhr
„Sag mal, Lisa, kannst du dich noch an unseren ersten Traum erinnern?“, frage ich sie, kurz bevor wir am Friedhof ankommen.
„Ähm, ich glaube nicht wirklich. Wieso?“
„Nur so. Musste gerade daran denken.“
„Weißt du es noch?“
„Ich? Ähm, ja eigentlich schon. Ich meine, nicht genau, aber ich habe ein paar Bilder im Kopf.“
Warum ich sie anlüge, weiß ich nicht. Den gesamten Traum habe ich schon tausende Male wieder vor meinem geistigen Auge ablaufen lassen. Als ob ich so etwas jemals vergessen könnte. Aber Lisa ist ja in dutzenden Träumen unterwegs gewesen. Ob da noch andere wie meiner dabei waren?
„Wir sind da, bist du bereit, Jack?“
„Das hast du schon mal gefragt, aber ja.“
Anscheinend ist sie doch auch etwas aufgeregt, aber trotzdem wirkt sie immer noch extrem fokussiert. Lisa weiß, was sie da tut. Auf dem Parkplatz draußen stehen keine Autos mehr, was für diese Uhrzeit auch eigentlich nicht so verwunderlich ist. Wir sind komplett alleine. Ob dieser Dave schon da ist?
„Bist du es denn auch?“, frage ich sie.
„Ja.“
„Dir ist klar, was alles schief laufen kann? Ich meine, wenn er wirklich Benny getötet hat, dann schreckt er auch nicht davor zurück, uns etwas zu tun.“
„Denk einfach nicht so viel darüber nach.“
„Aber was wenn er völlig gestört ist? Wir kommen und da hin, sagen ein falsches Wort und Bäm, Disaster. Was dann?“
„Ist er nicht und das wird nicht passieren. Komm wieder runter. Ab hier musst du voraus, ich weiß leider noch nicht wo Bennys Grab ist.“
„Das macht nichts, komm mit.“, sage ich nach einem langen Seufzer.
Gemeinsam schleichen wir durch die unzähligen Gräber. Wie erwartet verbreitet es bei Nacht ein unangenehmes Gefühl in einem und eigentlich fühlt es auch falsch an, jetzt hier zu sein. Die Dunkelheit im Inneren der Friedhofsmauern lässt uns fast nichts erkennen. Das Licht der Laternen dringt hier genau so wenig herein wie das Mondlicht durch die dicke Wolkendecke. Ein kalter Wind heult durch die Äste der Bäume am Wegesrand. Gerade als sich unsere Augen an die Finsternis gewöhnt haben, erreichen wir das mit Blumen überhäufte Grab meines besten Freundes.
Freitag, 00:02 Uhr
„Es…es sieht gut aus. Also schön meine ich.“, sagt Lisa als wir schließlich direkt davor stehen.
„Das bringt ihm jetzt auch nichts mehr.“
Bis zu diesem Satz von ihr hatte ich es eigentlich erfolgreich in mir versteckt. Aber jetzt kommt in mir eine Mischung aus Wut und Trauer herauf, wie ich sie noch nie erlebt habe.
„Hey, sorry, ich wollte nur…“
„Du wolltest was Nettes sagen, ich weiß.“, unterbreche ich sie, „Aber das bringt mir nichts und ihm auch nicht.“
„Tut mir Leid, Jack. Ich meinte…ach…“
Was ist mit dir los, Jack? Das ist echt der falsche Zeitpunkt um sie dumm anzumachen.
„Nein, sorry, ich bin nur durcheinander.“
„Da seid ihr ja endlich.“, ruft uns plötzlich eine Stimme von hinten zu, die mir mittlerweile leider auch bekannt ist.
Gleichzeitig drehen wir uns um und werden wieder geblendet, wie letzte Nacht in dem Traum. Dieses Mal scheint er uns eine Taschenlampe direkt ins Gesicht zu halten, welche durch die uns umgebende Nacht viel heller wirkt. Ich halte mir die Hand vor das Gesicht und versuche, irgendetwas zu erkennen, aber er scheint direkt auf mich zu zielen und weniger auf Lisa.
„Hör zu, wir können das Alles regeln. Niemand muss-", rufe ich ihm zu, als Lisa mich plötzlich mit einem Ellenbogenhieb in die Seite unterbricht und einen Schritt nach vorne macht.
„Ich bin bereit, lass uns tauschen.“, lässt sie ihn wissen.
„Klingt gut, seit wann bist du so sicher und entschlossen?“, fragt Dave.
„Woah, halt stop, Leute, nicht so schnell hier. Du,“, sage ich und zeige in seine Richtung, „nimm erstmal das Licht aus meinem Gesicht, dann reden wir weiter.“
Er zögert kurz, nimmt dann aber allmählich die Lampe runter und zeigt endlich auch mir sein Gesicht. Aber Lisa hatte Recht, ich kenne ihn wirklich nicht. Mit seiner rechten Hand hält er einen Revolver und zwar so hoch, dass er sicher sein kann, dass wir ihn auch bemerken. Doch irgendwie habe ich damit gerechnet, aber ich habe sowieso das Schlimmste erwartet.
„Gut, jetzt zeige uns, dass es Andy gut geht.“, ist meine nächste Forderung.
„Du bist ziemlich befehlerisch, dafür, dass du alleine bist und ich derjenige bin, der die Waffe hat.“, entgegnet er mir.
„Ich bin nicht alleine, ich habe Lisa. Wir haben uns.“, ist meine Reaktion.
Lisa, die eben noch so sicher gewirkt hat, ist plötzlich ganz ruhig geworden. Vermutlich hat sie die ganze Situation erst jetzt realisiert.
„Aww, wie süß. Ich kotz' gleich. Aber naja, nicht mehr lang.“
„Was soll das heißen?“
„Hier ist dein Andy.“, antwortet er, macht einen Schritt zur Seite und leuchtet mit seiner Taschenlampe an den Baum hinter sich.
„Andy! Geht es dir gut?“, rufe ich ihm zu als ich ihn dort festgebunden erblicke.
Ohne Jacke steht er nur in einem T-Shirt angebunden an dem Baum und zittert vor Angst und Kälte. Sein Mund ist ebenfalls verbunden, seine Augen hingegen nicht.
„Keinen Schritt weiter.“, wendet Dave ein und richtet den Revolver auf mich.
„Hey, ganz ruhig, niemand wird verletzt.“, erwidere ich und versuche ihn wieder zu beruhigen.
„Du hast hier überhaupt nichts zu sagen.“, schnaubte er mich an.
Plötzlich stellt sich Lisa vor mich und streckt die Arme zur Seite raus.
„Lisa, was machst du da? Geh’ lieber hinter mich!“
„Erst wenn er die Waffe wieder runter nimmt!“
Warum tut sie das? Würde sie sich wirklich für mich eine Kugel einfangen? Doch ich kann das kaum verarbeiten, da tut Dave auch schon was sie verlangt.
„Es ist alles ok, Dave. Pack das Ding weg, bind Andy los und ich komme mit dir. Niemandem geschieht etwas.“
„Das wäre auch mein Plan gewesen, aber Jack muss es ja immer auf seine eigene Art versuchen.“
Er steckt den Revolver nicht weg, aber macht ein paar Schritte rückwärts zu dem Baum hin. Langsam stelle ich mich schräg vor Lisa, da ich immer noch nicht weiß, was er eigentlich vor hat. Und wie Lisas Plan aussieht leider auch nicht. Mit seiner linken Hand greift er hinter den Baum und löst den Knoten am Seil.
„Du bewegest dich keinen Zentimeter bevor ich es dir nicht erlaube.“, gibt er Andy eindringlich zu verstehen, welcher daraufhin zustimmend nickt.
„Also los, Dave, bringen wir es hinter uns.“, sagt Lisa und tritt wieder vor mich.
Knapp zehn Meter trennen uns jetzt noch.
„In Ordnung, dann komm mal her, Lisa. Erst dann darf Andy gehen.“, befiehlt Dave.
„Ok.“, willigt Lisa ein.
„Halt, stop, nicht ok.“, wende ich ein, „Dann hast du ja beide und kannst mit beiden abhauen. Es muss gleichzeitig stattfinden.“
„Warum sollte ich das tun?“, erwidert Dave.
„Ja, Jack, warum sollte er?“, wundert sich auch Lisa.
„Vielleicht ist das sein Plan? Ich versteh ja immer noch nicht was er wirklich will.“, antworte ich verwundert, da alle mehr Ahnung von der Situation zu haben scheinen als ich.
„Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder? Du kapierst es wirklich nicht?“, fragt Dave noch mal nach.
„Ähm, nein? Klär’ mich auf.“
„Es geht nur um mich.“, sagt Lisa plötzlich.
„Was soll das heißen? Warum hat er dann-?“
„Er will mich. Das wollte er von Anfang an. Warum Benny und Andy da mitteingezogen wurden weiß ich aber auch nicht.“, ergänzt sie.
„Das kann ich euch sagen. Siehst du Jack, ich war schon länger an Lisa interessiert als du. Doch bisher wollte sie nicht so recht. Und dann kamst plötzlich du ins Spiel und sofort habe ich gemerkt, dass sie auf dich anders reagiert als auf mich damals. Mir war von Anfang an klar, dass da was zwischen euch ist und es mehr werden könnte. Deshalb musste ich zu drastischen Mitteln greifen. Am liebsten hätte ich dich sofort getötet, Jack, aber das hätte Lisa das Herz gebrochen und das will ich einfach nicht.“
„Und was denkst du erreichst du hiermit, wenn nicht genau das?“, unterbreche ich ihn.
„Wenn das hier vorbei ist und ich sie mitnehme, dann hat sie immer noch Hoffnung. Hoffnung, dass jemand sie rettet und sie dich wieder sieht bis sie sich irgendwann mit der Situation abfindet. Aber sie weiß dann, dass du noch lebst. Deshalb musste leider dein anderer Freund gehen, damit ihr auch merkt, wie ernst es mir ist. Außerdem denkt sie dann, sie hat das einzig Richtige getan, was es auch einfacher für sie macht.“
„Er war unschuldig! Er kannte Lisa nicht mal!“, rufe ich ihm zu.
„Manchmal trifft es eben auch die. Die Welt ist nicht gut, akzeptiere das einfach.“
Regungslos stehe ich hinter Lisa und versuche zu verarbeiten, was ich gerade gehört habe. Die Mischung aus Angst, Trauer und Wut lähmt mich und ich starre nur ins Leere. Wo bin ich da nur hineingeraten?
„Wir machen es gleichzeitig.“, unterbricht Lisa meinen Gedankenfluss.
„Geht klar, aber keine Dummheiten, Jack, ich bin der mit der Waffe.“, gibt mir Dave zu verstehen, doch er bekommt keine Antwort von mir.
Dann geht Lisa in Richtung Dave los, welcher daraufhin Andy mit einem Stoß in den Rücken zu verstehen gibt, dass dieser jetzt auch loslaufen darf. Ich versuche nicht sie aufzuhalten. Ich lasse sie gehen. Ich … vertraue ihr. Die beiden setzen vorsichtig einen Fuß vor den anderen, schauen sich nur als sie sich gegenüber stehen kurz an und erreichen dann ihr Ziel. Andy befreit sofort seinen Mund und fällt mir um den Hals.
„Es tut mir Leid.“, flüstert er mir ins Ohr, doch ich kann mich immer noch nicht bewegen oder reagieren.
„Danke Jack, dass du es nicht unnötig verkompliziert hast. Und wir zwei,“, sagt Dave, dreht sich zu Lisa und legt seinen linken Arm um sie, „,wir machen jetzt eine kleine Reise. Was euch angeht, ihr bleibt hier, bis ihr uns draußen wegfahren hört. Sehe ich euch vorher, wie ihr uns verfolgt, möchte ich euch nur nochmal daran erinnern, dass ich hier immer noch meinen Revolver habe. Verstanden?“
Niemand sagt auch nur ein Wort. War das alles? Will Lisa nichts dagegen tun? Das wäre jetzt wirklich ein guter Moment, um ihren Plan in die Tat umzusetzen. Es kann ja nicht sein, dass das so wie es gerade läuft ihr Plan war. Oder?
„Verabschiede dich doch noch bitte, Lisa. Du wirst die beiden nämlich nie wieder sehen.“
Doch Lisa und ich blicken uns nur ein letztes Mal in die Augen. Doch als ich in ihren die Angst erkenne, schwindet mein Vertrauen. Sie tut nichts. Sie wehrt sich nicht. Sie geht einfach mit ihm mit. Hat sie mich angelogen?
00:42 Uhr
Draußen vor den Friedhofsmauern quietschen die Reifen eines Autos. Andy und ich stehen immer noch vor Bennys Grab.
„Jack? Ich glaube wir sollten zur Polizei.“, sagt Andy schließlich.
„Wozu?“
„Um ihn anzuzeigen? Du weißt seinen Namen, wie er aussieht und, dass er Lisa hat. Die werden ihn finden.“
„Meinst du echt er ist so blöd und lässt sich einfach so von den Bullen aufspüren?“
„Willst du hier rumstehen und nichts tun?“
„Lisa hat einen Plan. Zumindest hat sie das immer gesagt.“
Sonntag, 21:58 Uhr
Die Polizei fahndet bisher ohne Erfolg. Niemand hat etwas von Lisa gehört. Mit jeder Minute schwindet meine Hoffnung. Doch viel mehr zu schaffen macht mir die Tatsache, dass ich wohl nie wissen werde, was ihr Plan war. Ich liege alleine mit meinen Gedanken im Bett und kann, wie die letzten Nächte davor schon, nicht schlafen. Es ist lange her, dass ich ein Mädchen so sehr vermisst habe. Lisa war die außergewöhnlichste Person, die ich je kennen lernen durfte. Doch nichts lief wie geplant. Mein bester Freund ist tot und das Mädchen meiner Träume von seinem Mörder entführt. Auch wenn viele sagen, ich soll noch nicht aufgeben, so denke ich doch, dass lernen muss, loszulassen. Ich bin so durcheinander, ich brauche einen Neuanfang. Dieses Mal ist es Andy, der sich ständig bei mir meldet, aber ich weiß nicht, was ich mit ihm reden soll. Eigentlich möchte ich ihm vorwerfen, dass er sich hat entführen lassen oder, dass es uns nicht sagen kann, was für ein Auto Dave oder wo er ihn versteckt hielt. Doch andererseits kann ich das Alles auch nicht von ihm erwarten. Andy wurde wie Benny als Unschuldiger da rein gezogen, hatte aber am Ende einfach etwas mehr Glück. So gesehen bin ich allein an allem Schuld. Ich war völlig ohne Grund auf einmal von Lisa besessen. Ich wollte sie kennenlernen und ich wollte, dass sie mich kennenlernt. Ich war es, der sich an den Traum mit ihr erinnern konnte. Oder sie dadurch Schuld daran? Ob die Schuldfrage je geklärt werden kann? Würde das irgendwas ändern?
Montag, 14:36 Uhr
Seit heute morgen um neun Uhr sitze ich angespannt in der Eingangshalle des Polizeirevier. Plötzlich höre ich vor der Tür einen Wagen vor fahren. Sofort drehe ich mich um und versuche zu erkennen wer es ist. Als ich endlich sehe, wer aus dem Auto aussteigt, springe ich auf und renne sofort nach draußen.
„Lisa!“, rufe ich mehrmals, als ich zu ihr hin sprinte.
„Jack!“, erwidert sie, als auch sie mich endlich ausmachen kann.
Wir fallen uns gegenseitig in die Arme. Ich bin so überwältigt von meiner Freude, dass ich sie hochhebe und mich wild mit ihr im Kreis drehe. Dann stehen wir einfach nur, schauen uns in die Augen und fangen plötzlich beide an zu lachen. Die Erleichterung ist nicht in Worte zu fassen.
„Sorry, aber Sie müssen noch kurz mit rein kommen. Wir müssen ein paar formelle Dinge klären, dauert nicht lange.“, unterbricht uns Kommissar Schmidt.
15:03 Uhr
Von der Bank gegenüber des Revier beobachte ich Alles, was in dessen Inneren vor sich geht. Endlich sehe ich Lisa, wie sie sich verabschiedet und in Richtung der Tür geht. Ich stehe auf, damit sie mich sieht und sie kommt sofort zu mir gelaufen.
„Das war dein Plan?“, frage ich sie, nachdem wir uns ein weiteres Mal umarmt haben.
„Ja, der einzige der mir einfiel der funktionieren könnte.“, antwortet sie.
„Und warum durfte ich ihn nicht vorher wissen?“
„Wenn du es gewusst hättest, dann hätte Dave es beim Treffen gemerkt. Du wärst entspannter gewesen, weil es ja Alles zum Plan gehört hätte. Da du nichts wusstest, hast du perfekt mitgespielt. Außerdem hatte ich Angst, du würdest es mir ausreden.“
„Da hast du Recht, das hätte ich vermutlich versucht."
Nachdem ich es letzte Nacht endlich geschafft hatte, zu normalen Zeiten zu schlafen, kam Lisa in meinen Traum und hat mir erzählt, wo er sie festhält, worauf die Polizei achten muss, wenn sie eingreifen und wo er als Nächstes hin will, falls sie zu spät kommen. Heute Morgen habe ich diese Informationen sofort weitergegeben und sie konnten sie retten.
„Wo ist er jetzt?“, frage ich sie.
„Sie haben ihn gleich in Untersuchungshaft gesteckt wegen dringendem Tatverdacht. Und unsere kleine Wache hier war ihnen dafür nicht sicher genug. Aber sie haben mir nicht gesagt, wo genau er jetzt ist.“
„Sehr gut.“
Gemeinsam gehen wir ein Stück durch die Stadt. Völlig planlos, aber eigentlich haben wir unser Ziel schon erreicht. Zumindest fast.
15:18 Uhr
„Sag mal, Lisa, warst du eigentlich noch öfter in meinen Träumen?“
„Ja, aber wie kommst du jetzt darauf?“
„Weißt du, ich habe gerade nochmal über den ersten nachgedacht, an den du dich ja nicht mehr erinnern kannst.“
„Doch mittlerweile kann ich das wieder!“
„Wirklich?“, frage ich verwundert und merke, wie mein Puls plötzlich noch weiter ansteigt.
„Das war doch auf irgendeiner Wiese und lagen wir nicht in so einem Regal aus dem Supermarkt?“, erinnert sie sich.
„Ja, ähm, das auch. Aber den Teil meinte ich eigentlich nicht.“, sage ich und schaue ihr dabei wieder tief in die Augen.
„Deine Träume waren eigentlich immer sehr komisch. Aber welchen Teil meinst du denn dann?“
„Den, von dem ich mir von Anfang an wünschte, dass er kein Traum bleibt.“
„Den wo wir, naja, uns … näher gekommen sind?“
„Möchtest du meinen Traum wahr werden lasse?“, frage ich sie mit dem hoffnungsvollsten Blick, den man sich vorstellen kann.
Lisa lächelt, beißt sich dann kurz auf die Lippe, schließt die Augen und flüstert dann: „Gerne."
Ende des letzten Kapitels.
© Chads
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