Eine dieser Geschichten
Es zieht ein wenig. Aber was erwarte ich auch um diese Uhrzeit. Was mich aber irritiert ist das Rauschen des Flusses unter mir. Wenn sonst alles ruhig ist, dann wirkt er richtig laut und das habe ich nicht erwartet. Doch das wird mich nicht abhalten. Ich bin nicht hergekommen um die Stille zu genießen. Ich bin hergekommen um...
„He, was machst du da?", fragt mich plötzlich eine Stimme von hinten.
Vor Schreck greife ich an das Geländer und drehe mich vorsichtig um.
„Geh weg, da willst du nicht zusehen!", rufe ich dem Schatten auf der anderen Straßenseite zu. Publikum hat mir gerade noch gefehlt.
„Was auch immer du da tun willst, überleg dir das lieber nochmal", antwortet die Stimme, die wohl zu einem jungen Mädchen gehört.
„Das ist nicht eine dieser Geschichten. Geh' einfach weg.", bitte ich sie.
„Was für Geschichten?"
„Na die, in denen der Protagonist in letzter Sekunde sich verliebt und es dann nicht tut oder er sich verliebt, weil er es nicht tut. Das passiert hier nicht. Das hier ist real."
„Also ich weiß nicht, ob du dich gerade in mich verliebst oder in naher Zukunft, aber ich weiß, dass ich hier bin und, dass ich, du und diese Situation Real sind.", erklärt sie und kommt ganz langsam näher.
„Nein. Das ist kein Film, keine Serie, kein Roman, kein Gedicht und ganz sicher keine Kurzgeschichte. Das passiert wirklich. Also geh' doch bitte weg."
„Kletter doch bitte hier rüber und dann diskutieren wir weiter über Realität und Wirklichkeit. Ich möchte nicht, dass du da noch runter fällst."
„Das war aber mein Plan."
„Dann musst du deinen Plan ändern. Ich hatte auch nicht geplant heute Nacht einen Lebensmüden zu retten. Aber das passiert nunmal. So ist das Leben."
„Keine Angst, du musst deinen Plan nicht ändern. Geh einfach weiter."
„Ich versteh dich irgendwie nicht ganz. Wenn du so gewillt bist es zu tun, warum klammerst du dich dann immer noch so an das Geländer?"
„Tja.", antworte ich trotzig.
„Tja was?"
„Du verstehst das nicht. Du warst noch nicht in der Situation."
„Ach und das weißt du woher?"
„Wie? Warst du etwa?"
„Spielt das eine Rolle?", fragt sie zurück und ist mittlerweile bei mir angekommen und lehnt sich nun neben mir an das Geländer.
„Nein, eigentlich nicht. Wie gesagt, das ist ja nicht eine dieser Geschichten. Also, gehst du weiter oder willst du zusehen?"
„Ich heiße übrigens Samantha, aber meine Freunde nennen mic Sami."
„Was soll das jetzt?", frage ich verwundert.
„Ich stelle mich dir vor? Willst du mir nicht deinen Namen verraten? Das wäre sonst voll unhöflich.", fragt sie weiter.
„J-joshua, aber nenn mich Josh. Aber-"
„Hey Josh, du hast dir echt einen schönen Abend für unser Treffen ausgesucht."
„Was redest du jetzt schon wieder?"
„Schau.", sagt sie und zeigt zum Himmel, „Keine Wolke, nur Sterne."
„Wie in einer dieser Geschichten..."
„Genau, nur ist das hier ja real."
„Das ändert doch alles nichts! Ich werde jetzt springen.", entgegne ich ihr.
„Wirklich? Hier vor einem deiner Freunde?"
„Spinnst du? Wir sind doch keine Freunde."
„Kommt drauf an, wie du Freunde definierst und was du von ihnen erwartest."
„Naja, sie, ähm, sollten mir zuhören wenn ich Probleme hab und ... für mich da sein, wenns mir nicht gut geht. Jetzt zum Beispiel, wo sind sie jetzt, wo es mir am schlechtesten geht?", frage ich sie und breche beinahe in Tränen aus.
Doch Sami antwortet nicht. Ich drehe mich zu ihr rüber und sehe, wie sie mich anschaut. Im hellen Mondlicht kann ich Teile ihres Gesichts ausmachen. Sie kommt mir nicht bekannt vor, aber dennoch freue ich mich sie zu sehen. Sie lächelt mich an und ich spüre plötzlich etwas tief in mir.
„Komm rüber auf meine Seite.", sagt sie sanft und legt ihre Hand auf meine.
Ich stimme ihr nur nickend zu und klettere über das Geländer.
„Danke."
„Was? Nein! Ich muss mich bedanken.", erwidere ich.
„Gern geschehen."
„A-aber, was ist hier gerade passiert? Ich wollte doch-"
„Ich weiß es nicht, Josh. Es ist ja nicht eine dieser Geschichten, aber so ist das Leben nunmal."
© Chads
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