Es war immer ruhig hier
Es war immer ruhig hier.
Erst seit diesen Vorfällen sind alle hier so angespannt und aufgedreht. Hier, das ist die kleinste Stadt in der Gegend. Eigentlich ist es mehr ein Dorf, aber vor circa 1000 Jahren meinten so ein paar Leute, die damals wohl was zu sagen hatten, dass diese paar Häuser jetzt eine Stadt sein sollen. Und jetzt sind wir das immer noch.
Nunja, die Vorfälle sind eigentlich nur Menschen die vermisst werden. Eigentlich ist das ja nix besonderes, da die Vermissten ja meist schnell wieder gefunden werden oder halt einem Gewaltverbrechen zum Opfer fallen. Aber bei diesen Fällen ist das anders. Die Vermissten wurden alle nachts an ungefähr dem selben Ort zuletzt gesehen, in einem kleinen "Park" bei dem Fluss der durch unser Städtchen fließt. Es waren Nachtschwärmer, Schlaflose, verspätete Gassi-Gänger oder Pärchen, die einige romantische Stunden verbringen wollten. Jetzt sind sie alle weg. Es gibt aber keine Hinweise auf Gewaltverbrechen und niemand ist bis jetzt wiedergekommen. Bis jetzt.
Und da komme ich ins Spiel. Ich wollte mich mit meiner Freundin, Leonie ist ihr wunderschöner Name, in diesem Park treffen. Wir wollten an einer etwas abgelegenen Stelle, hinter so einem komischen Kriegsdenkmal, ein romantisches Picknick im Mondschein machen. Wir hatten es lange geplant und auf den perfekten Abend gewartet. Das war vor 4 Wochen im August. Als ich am Monument ankam bemerkte ich dass dort niemand war. Nur der von ihr mitgebrachte Korb war noch da. Natürliche suchte ich sie und versuchte sie anzurufen, aber seit 4 Wochen habe ich nichts von ihr gehört. Sie war die erste.
Mittlerweile sind es über ein halbes dutzend Vermisste. Es ist schon dunkel draußen als ich in den Bus steige. Ich war bei meiner besten Freundin die ich durch die Schule kennengelernt habe. Mit ihr habe ich mich in den letzten Wochen oft getroffen, da ich es sonst nicht geschafft hätte. Mit ihr kann ich einfach über Alles reden und ich bin ihr sehr dankbar dafür. Außer mir ist noch ein andrer Typ im Bus. Er sitzt fast ganz hinten und sieht in Gedanken versunken aus. Ich setzte mich hin und fange an Musik zu hören. Emo. Das ist für mich eine Musikrichtung und sonst nichts. Und sie hilft mir in dieser Zeit. Ich muss die ganze Zeit an Leonie denken. Aber ich weiß, dass sie noch lebt. Etwas anderes denke ich nicht einmal. Aber wo ist sie jetzt? Und vor allem warum? Und wo sind die Anderen? Der Bus hält erst noch in einem Kuhdorf, wo mein Mitfahrer aussteigt, bevor ich endlich in meiner Heimatstadt ankomme. Der Bus hält am Bahnhof, den Rest muss ich laufen.
Also laufe ich los. Es ist kurz nach Zwölf. Es sind auf die Stunde genau 4 Wochen seitdem Leonie weg ist. Und um nach Hause zu kommen muss ich durch den Park. Aber ich laufe nicht direkt nach Hause, ich laufe erst noch zum Monument. Es ist ein Soldat, er schaut nach Frankreich. Komischer Zufall. Normalerweise schaut der Soldat etwas grimmig, aber heute wirkt er etwas verängstigt. Liegt wohl am Licht. Neumond. Nur von ein paar Scheinwerfern, die das Monument wohl in Szene stellen sollen, wird er angestrahlt. Ich gehe dahinter.
Vier Wochen lang habe ich jeden Abend eine Rose hinter das Monument gelegt. Vier Wochen lang habe ich gehofft dass sie wiederkommt. Heute habe ich keine dabei. Aber zu meiner Verwunderung ist die vom Vorabend auch nicht da.
Stattdessen liegt da eine Picknickdecke und daneben steht der dazugehörige Korb. Es ist alles wunderschön hergerichtet und alles ist fertig für ein schönes Picknick. Und als ob das alles nicht verängstigend genug wäre steht da ein Mädchen mit dem Blick auf den Fluss gerichtet. Sie ist nackt.
„Hallo? Ist alles ok bei dir?“ frage ich sie. Sie dreht sich um und ich weiß nicht ob ich mich freuen oder schreien soll. Es ist Leonie. Sie ist wieder. „Da bist du ja endlich,“ sagt sie und setzt sich auf die Decke, „komm setzt dich.“ Ich komme aus dem Staunen nicht mehr raus, ich bin komplett sprachlos. Ich setzte mich zu ihr.
Sie drückt mir einen Kuss auf die Wange und sagt „War ne tolle Idee dieser Abend. Nachher hab ich noch eine Überraschung für dich." Noch eine? Sie taucht mitten in der Nacht, vier Wochen nach ihrem Verschwinden an der Stelle auf, wo man sie zuletzt gesehen hat und meint dann sie hätte noch eine Überraschung parat?! Wir essen stillschweigend die Brote und trinken unsere Cola. Ja, Cola ist super romantisch, aber wir haben beide nun mal eine Abneigung gegen Alkohol. Aber mich beschäftigt eher die Frage woher sie die Brote hat. Sie sind frisch, das heißt, es sind nicht die von vor vier Wochen. Aber woher hat sie sie dann? Egal, denn sie schmecken gut.
Langsam beginne ich zu realisieren wie krank das hier alles ist. „Wo warst du?“ frage ich sie. „Na daheim? Wo denn sonst?“ antwortet sie genervt. War sie nicht. Ich war in den letzten Wochen jeden Tag mindestens einmal an ihrem Haus. Und jedes mal hat mich ihre Mutter für ihr Verschwinden verantwortlich gemacht. Ich konnte sie noch nie gut leiden. Leonie und ich trafen uns immer bei mir oder halt woanders, aber bei ihr daheim fast nie. Wir sind mit unseren Broten fertig.
„Na, auf was hättest du jetzt Lust? Es ist niemand da...“ fragt sie verführerisch und nähert sich mir dabei. „Auf eine Erklärung.“ antworte ich und rücke ein Stück weg von ihr. Sie macht mir Angst. Eigentlich die ganze Situation hier. „Was für eine Erklärung? Das hier war doch lang geplant?“ Sie hat keine Ahnung, dass sie 4 Wochen lang weg war. Und dass sie nichts an hat weiß sie offenbar auch nicht. Ich weiß nicht was ich machen soll. Sie küsst mich.
„Sollen wir schwimmen gehen?“ fragt sie und zeigt auf den Fluss. „Wir haben doch gar nix zum Baden dabei?“ frage ich zurück. „Dann halt nackt“ antwortet sie schnell und tut so als würde sie sich ausziehen. Was zum Teufel ist bloß los mit ihr? Hat sie irgendwas geraucht? Sie geht zum Fluss und ich schaue ihr hinterher. „Schatz, wenn uns die Strömung mitreißt sind wir spätestens unten am Wehr tot!“ Plötzlich entdecke ich etwas im Wasser.
Es ist ein Licht. Grün, Unterwasser und ziemlich hell. „Komm wir schauen was das ist!“ ruft Leonie und geht ins Wasser. Ich kann meinen Blick nicht mehr von dem Licht abwenden und gehe langsam zum Fluss. Leonie ist schon am Licht: „Komm her, hier kann man stehen!“ ruft sie mir zu. Ich gehe ins Wasser und schwimme zu Leonie. Es ist schwer weil ich noch meine ganzen Klamotten an hab.
Ich starre in das Licht und kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Die Strömung wird plötzlich viel stärker. Das Leuchten ist wie ein Magnet, ich kann meinen Blick nicht abwenden. Auch alle meine Gedanken sind auf diese mysteriöse Licht gerichtet. Alles um mich herum ist mir plötzlich egal, das Wasser, Leonie, der mögliche Tod. Das nehme ich in kauf, mich beschäftigt nur noch das Licht.
„Komm mit“ flüstert mir Leonie ins Ohr. Wir können uns kaum noch auf den Beinen halten, aber ich starre weiter in das grüne, unheimlich Licht. Auf einmal lässt sich Leonie fallen und die Strömung reißt sie sofort nach unten. Meine Kleidung wird mir vom Körper gezogen, aber mir ist das egal. Ich bin weiterhin fasziniert von diesem Licht. Plötzlich verliere ich den Halt unter den Füßen...
© Chads
Wenn dir diese Geschichte gefällt dann stimm bitte für sie ab bei "Lieblingsgeschichte" =)